Nicht nur FESTIVAL-CHRONIKEN
Die Journalistin, Schriftstellerin und Fotografin Wolftraud de Concini kommentiert das Festivalgeschehen in einem tschechisch-deutschen Blog. Artikel, Kommentare, Fotografien und Skizzen erzählen über Festivalveranstaltungen und deren Vorbereitung. Sie erzählen auch die spannende Geschichte der Heimreise der verlorenen Orgel in die Kirche zum Hl. Erzengel Michael in Blatno. Sie berichten auch von Fahrten rund um Blatno und Batzdorf und über lokale Sehenswürdigkeiten, Geschichte und Denkmäler informieren: Auch virtuelle Besucher aus der Ferne sollen auf diese Weise in das Festivalgeschehen eingeweiht werden.
Wolftraud de Concini wurde 1940 in Trutnov geboren, sie wuchs in Deutschland auf und lebt seit 1964 in Italien. In Tschechien wurde sie vor allem als Stadtschreiberin von Pilsen 2015 – Europäische Kulturstadt bekannt. Ihre geistreichen Berichte von Festivalveranstaltungen und vergessenen Dörfern des tschechischen Grenzgebietes, sowie ihr Humor und der Hund Zampa, der sie überallhin begleitet, sind ihren Lesern im Gedächtnis geblieben. Ihre Bücher Böhmen hin und zurück / Boemia andata e ritorno (2013) und Klaras Schuhe / Le scarpe di Klara (2018, 2021 auch auf Tschechisch) spielen in Tschechien. Lesen Sie mehr...
Erinnerungen an Bramborak, Musik und Hexen
30.. 9. 2023
Gleich am ersten Abend gab es Bramborak, Kartoffelpuffer. Und da fühlte ich mich sofort heimisch. Noch am Tag vor unserer Abreise aus meinem Dorf in Norditalien hatte ich Kartoffelpuffer gegessen, tortei di patate heißen sie im Trentiner Dialekt, und jetzt, nach einer 700-Kilometer-Autofahrt in Nordböhmen angelangt, bekam ich Bramborak vorgesetzt. Wie ich sie in meiner Kindheit gegessen hatte. Ebenfalls in Böhmen. In einem Dorf im Riesengebirge.
Der Empfang in der Penzion Blatno ist herzlich. Martina Machtova, die Hotelchefin, führt uns in die für ein Dorfgasthaus ungewöhnlich großen und ungewöhnlich geschmackvoll eingerichteten Zimmer. In einem Dorf "hinter dem Walde“ eine gar nicht hinterwäldlerische Unterkunft.
Und dann das Restaurant, das Restaurace U Stepana. Diese sonderbaren Zufälle, die vielleicht keine Zufälle sind: Stepan Kloucek, der joviale Küchenchef, ist in Trutnov geboren. Wie ich. Und in Radvanice in die Schule gegangen. Wo wir bis zur Vertreibung gelebt hatten. Marie Klouckova, seine Frau, ähnelt Giulietta Masina, der Gelsomina aus meinem geliebten Fellini-Film "La Strada“. Und überwältigend freundlich und sympathisch ist ihre Tochter Veronika Tenglerova. Sie begrüßt uns mit selbstbemalten Kaffeetassen und verschönt den Esstisch mit Blumen und Lichtern.
Weinreben in einem Bergbaugebiet
11. 9. 2023
Das scheint ein Widerspruch zu sein. Aber im Norden der Tschechischen Republik ist das möglich. Wein wurde hier schon vor Hunderten von Jahren angebaut (und getrunken).
Das nordböhmische Becken gilt in Tschechien als Sinnbild einer Landschaft mit Luftverschmutzung, Umweltschädigung und devastierender Landschaftsveränderung; denn der intensive Abbau von Braunkohle in stark industrialisierten Gebieten hier am Südabfall des Erzgebirges, um Komotau, Brüx, Teplitz und Aussig, hatte negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild und die Siedlungsstruktur.
Witschitz / Vičice ist ein kleines Dorf, ein Ortsteil der an der Hutna gelegenen Gemeinde Březno / Briesen südlich von Komotau. Und hier, wo auch ein altes Jagdschloss steht, hat sich eine schöne Geschichte zugetragen.
Bach & Co. in Quinau
3. 9. 2023
Auf schmalen Straßen und Feldwegen, über Wiesen und zwischen Büschen und Sträuchern gehen wir zu Fuß von Blatno nach Kvetnov / Quinau, einen Ortsteil der Gemeinde Blatno. Wir sind in Nordböhmen, die Grenze gegen Sachsen ist in der Luftlinie zehn Kilometer entfernt. Und wie von selbst kommt uns bei dieser Wanderung durch die liebliche Landschaft die vierte sinfonische Dichtung aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ in den Sinn: „Aus Böhmens Hain und Flur“, in der Bedrich Smetana – so hat er es selbst formuliert – seine „Gedanken und Gefühle beim Anblick der böhmischen Heimat“ ausdrücken wollte.
Aber nicht Smetana steht auf dem Programm des Konzertes in der barocken Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Quinau, sondern Werke der älteren Mitglieder der Bach-Familie: Motetten, Chorlieder und Kantaten aus der Zeit um 1650 bis 1700, geschrieben von Johann Christoph Bach, Heinrich Bach, Johann Michael Bach und anderen zeitgenössischen Komponisten.
Meisterkurse beim Musikfestival in Blatno
1. 9. 2023
Singen macht Freude, das wissen eigentlich alle Menschen. Ja, Yehudi Menuhin ging so weit zu sagen: „Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen.“ Und bei den Quinauer Musikfesttagen wird (auch) gesungen: Aus der sonst stillen, da entweihten und renovierungsbedürftigen spätbarocken Kirche zum Hl. Erzengel Michael in Blatno tönt auf einmal Gesang, Gesang mit Klavierbegleitung. Es sind Sopran- und Tenorstimmen, die, bei ständiger Unterbrechung, Arien und Lieder singen. Studenten und Studentinnen der Meisterkurse, die hier – am Rande des eigentlichen Musikfestivals – abgehalten werden.
Die Lehrer sind erstklassig, eben Meister, die künftige Sänger und Sängerinnen ausbilden. Und dabei merkt man, dass Singen Freude ist und Freude macht, aber dass man Fleiß, Geduld, Beharrlichkeit und Passion braucht, um eine solide Grundlage zu einer künftigen Sängerkarriere zu schaffen.
Anna Hlavenková, Sopran, die Gesang am Konservatorium in Teplitz unterrichtet, tritt als Solistin von Ensembles auf, die sich auf historische Interpretation von Barockmusik konzentriert haben.
Jan Kobow ist ein deutscher Tenor, international berühmt als Oratorien- und Liedsänger, der auf seinem Schloss Seehaus in Mittelfranken Musikfestivals und Kulturevents organisiert und nach Tschechien mit seinem Camping-Car herübergekommen ist.
Bettina Zimmermann, die Bildende Künstlerin von Schloß Batzdorf
25. 8. 2023
Da kann man sich ja einiges erwarten, wenn Bettina Zimmermann sich am ersten der Quinauer Musikfesttage (Freitag, 25. August) als Malerin produziert. Life-painting heißt die Technik, mit der die in Leipzig aufgewachsene, heute 57jährige Malerin das Eröffnungskonzert begleiten und bereichern wird.
Bei einem privaten Jazzkonzert hat sie angefangen, zur Musik Bilder zu malen. Emotionen und Gefühlsbewegungen, die sie beim Anhören der Musik spontan überkamen, wenn sie sich beim Anhören von Jazzmusik auf den Rhythmus konzentrierte. Daraus entstanden ein Katalog und zum Beispiel die Veranstaltung, zum Thema Novalis in der Schlosskirche Oberwiederstädt.
Zu den zwölf von Johann Joseph Rösler in Musik umgesetzten Gedichten (siehe Blog) wird sie in Blatno zwölf Bilder malen, die ihr von Worten und Klängen eingegeben werden. Bettina zeichnet abwechselnd mit schwarzer oder farbiger Tusche oder mit Acryl auf Papier, Bilder im Format 30x40 Zentimeter, die während ihrer Arbeit von einer Kamera aufgenommen und auf eine größere Leinwand projiziert werden (die Originale sind im Übrigen auch käuflich zu erwerben).
(Un)erträgliche Leichtigkeit im Park von Blatno
15. 8. 2023
„Musik kennt keine Grenzen“: Das ist ein alter, weltweit bekannter Spruch, und viele Musiker sind Weltbürger. Einer von ihnen ist Karel Valter. 1980 in Prag geboren, lebt er heute halb in Spanien (Katalonien) und halb in der Schweiz, wo er in Waldenburg (Baselland) ein renommiertes Aufnahmestudio für Alte Musik führt. Und eben Alte Musik hat ihn 1995 mit dem ebenfalls aus der Tschechischen Republik stammenden Jan Tuláček zusammengeführt, mit dem er gemeinsam auftritt. Wie in Blatno, wo Karel Valter im Ensemble Consolatione als Flautist auf einer Trasversflöte spielt und Jan Tuláček auf einer romantischen Gitarre.
Unter dem Titel „(Un)erträgliche Leichtigkeit“ werden sie am Samstag bei den Quinauer Musikfesttagen ein musikalisches Ständchen bieten, Musik zu Unterhaltung und Amusement von zwei Italienern und einem Österreicher.
Der 1781 in Süditalien geborene Mauro Giuliani war aus seiner Heimat, wo Gitarrenmusik damals (im Gegensatz zum heutigen Italienklischee) noch nicht sehr en vogue war, über Triest nach Wien gezogen. Hier, in der damaligen Hauptstadt der europäischen Musikwelt, räumte der zugewanderte Gitarrenvirtuose in seinem brillant-heroischen und vom napoleonischen Zeitgeschmack getragenen „Gran Concerto per chitarra e orchestra“ (sogar Beethoven sollen seine Gitarrenkonzerte gefallen haben) mit der Vorstellung von der Gitarre als nur volkstümlichem, für Hausmusik prädestiniertem Instrument auf.
Aus Neapel stammte der italienische Gitarrist und Komponist Ferdinando Carulli (1770-1841), der nicht nur für seine weite kompositorische Produktion für Sologitarre, Duos, Quartette und Konzerte bekannt ist, sondern auch für seine bis heute benutzte komplette „Gitarrenschule“ op. 27.
Musik im Gebirge
6. 8. 2023
Ein abgelegenes Bergdorf im böhmischen Erzgebirge und klassische, von internationalen Künstlern ausgeführte Musik: Das könnte sich nach einem Widerspruch anhören. Aber die Quinauer Musikfesttage an der sächsisch-deutschen Grenze zeigen, dass dies möglich ist, ja dass eine solche Kombination zu einer kulturellen Attraktion werden kann. Denn ländliche Kunst aus der Vergangenheit, eine unberührte Natur und alte Musik passen bestens zusammen.
Im Jahr 2018 war Alena Hönigová, eine Prager Vollblutmusikerin und schon „Erfinderin“ eines Musikfestivals in Eisenberg, auf diese Gebirgsgegend aufmerksam geworden, als sie auf der Suche nach einem Ort für die Aufnahme einer CD war. Im Sommer 2018 wurden in der Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Quinau, auf dem Gemeindegebiet von Blatno, die orchestralen Werke von J. J. Rösler aufgenommen, Alena hatte sich in die Gegend „verliebt“.
Die Begeisterung des einheimischen Musikliebhaber-Ehepaars Tollar, die die zukünftigen Protagonisten miteinander verbanden, ermutigte Iveta Rabasová Houfová, die energische und entschlossene Bürgermeisterin von Blatno, das Musikfestival ins Leben zu rufen. Das in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindet. Immer mit gutem, weitem Echo und internationaler Beteiligung.
Von Anfang an waren die Maimusikfestspiele ein Festival der Alten Musik, das sich vor allem auf die Musik des Barock und der Klassik konzentriert. “Die Notenschrift ist nur ein Hinweis auf eine musikalische Idee. Der Komponist, der sie niederschreibt, zählt auf Musiker, die dieselbe Musiksprache und von ihn vorgestellte Instrumente beherrschen. Die Musiksprache der verschiedenen Länder war früher sehr unterschiedlich und verändert sich noch immer, die Bedeutungen verschieben sich, und die Instrumente entwickeln sich weiter,” erklärt Alena.
Mit Petr Koudelka über die Umdichtung von Libretti und die Musikedition, die dank des Festivals dieses Jahr entsteht
24. 7. 2023
Ein Werk von bleibender Bedeutung, das im Rahmen des diesjährigen festivals Quinauer Musikfesttage entsteht, ist die Erstausgabe der Sechs Lieder mit Klavierbegleitung von Johann Josef Rösler (1771-1812) mit deutschen und tschechischen Texten. Diese Lieder werden auch am 25. August um 19 Uhr beim Eröffnungskonzert mit dem Titel "WEISHEIT ODER TORHEIT?" (im Tschechischen Weise oder nur so?), benannt nach dem gleichnamigen Gedicht von Christian Felix Weisse (1726-1804), einem Vertreter der deutschen Aufklärung, der mit diesem Festival wieder in die Heimat zurückkehrt: Er war im sächsischen Erzgebirge geboren, in Annaberg, in der Luftlinie vielleicht 25 Kilometer von den böhmischen Erzgebirgsorten Blatno und Quinau entfernt.
Auch Johann Wolfgang Goethe ist unter den Dichtern, deren Werke von Johann Joseph Rösler vertont wurden und in Blatno zu hören sind. „Wer sich der Einsamkeit ergibt / Ach! Der ist bald allein“, setzt das „Lied des Harfners“ an, das dem 1795 erschienenen Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre entnommen ist. In der Übersetzung des Dichters, Schriftstellers, Regisseurs und Drehbuchautors Petr Koudelka, der unserem Publikum aus dem 2022 veröffentlichten "Erinnerungen an die Schöpfung" bekannt ist, lauten die ersten Worte des Liedes:
Mit Marta Schreiter über das Leben an der Grenze
19. 7. 2023
“Ich versuche immer etwas zu tun, damit Menschen – auch Menschen unterschiedlichster Herkunft, Sprache, Konfession – miteinander in Kontakt kommen. Meine größte Freude ist, Leute zueinander zu bringen.”
Man hört Marta Schreiter die Begeisterung an, mit der sie an die Arbeit geht. Als Václavíková ist sie 1980 in Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch geboren und in Uherský Brod / Ungarisch Brod in Süd-Mähren aufgewachsen, jetzt lebt sie in Marienberg auf der deutschen Seite des Erzgebirges, in der Luftlinie dreißig Kilometer von Blatno auf der tschechischen Seite des Erzgebirges entfernt.
Im Moment hilft sie, das Dorf Blatno mit einem Freundeskreis in Zöblitz zu verbinden, der sich wegen tschechischer Sprache, Literatur oder auch zum Essen trifft. Sie alle hoffen, dass durch diese Zusammenarbeit ein weiterer Stein auf dem Weg zur Rückkehr der St.-Michael-Orgel nach Blatno, insbesondere zur Reparatur des Chors, gelegt wird.
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Jan Kobow
9. 7. 2023
Von Haus aus ist Jan Kobow eigentlich Organist und Kirchenmusiker, doch bei den Quinauer Musikfesttagen in Blatno tritt er als Tenor auf. Weltweit berühmt ist er als Oratorien- und Liedersänger. Aber zu seinem Repertoire gehören auch verschiedene Rollen in Barockopern, in denen er sich – was man seinen Bemerkungen entnehmen kann - sehr zu vergnügen scheint.
Der jetzt 57jährige Sänger lebt seit 2009 auf Schloss Seehaus bei Markt Nordheim in Mittelfranken, dem ehemaligen Stammschloss der bayerisch-böhmischen Adelsfamilie Schwarzenberg, das er zu einem lebendigen Kulturzentrum entwickelt und ausgebaut hat. Den ganzen Sommer über gibt er hier, als nimmermüder Hausherr, Schlossfeste und organisiert Konzerte.
Dieses Jahr ist es gelungen, den vielbeschäftigten Tenor von seinen internationalen Tournéen hier ins böhmische Erzgebirge zu bringen.
“… Und es gibt nie genug Tugend”
15. 6. 2023
“… Und es gibt nie genug Tugend”, erzählt Miroslava Beranová, 49-jährige Lehrerin aus Chomutov/Komotau und auch Malerin. Hobbymalerin, wie sie unterstreicht. Und da sie, offensichtlich eine “positive” Person, keine deprimierenden, unglücklichen Dinge malen will, “um auf die unruhigen Zeiten und das menschliche Leid hinzuweisen”, hat sie die Tugenden zu ihrem künstlerischen Thema der letzten sechs Jahren gemacht.
Sechs dieser lebensgroßen Bilder werden den Sommer über in der dem Hl. Erzengel Michael geweihten Barockkirche in Blatno ausgestellt: Liebe, Hoffnung, Demut, Glaube, Reinheit und Gerechtigkeit. Eben Tugenden, von denen es “nie genug” gibt, wie Miroslava sagt.
Sechs Tugenden (zu denen in näherer oder fernerer Zeit auch noch andere kommen könnten, meint die Künstlerin, “vielleicht die Geduld”), ohne Bezug auf die christliche Religion oder die Antike.
Orgelpfeifen
13. 6. 2023
Eine Kuh, ein Schaf, eine Ziege adoptieren, das kommt in jüngster Zeit weltweit immer mehr in Mode, auch einen Wald, ein Feld, eine Wiese, einen Baum, eine Geländeterrasse: zur Erhaltung der Natur und ihrer Vielfalt.
Aber eine Orgelpfeife? Die Gemeinde Blatno in Nordböhmen wagt dieses Unternehmen. Die Barockkirche zum hl. Erzengel Michael, die im Mittelpunkt der Quinauer Musikfesttage (25.-27. August) steht, bekommt in mehr oder weniger absehbarer Zeit ihre alte, originale, in langer Arbeitszeit und mit großem Kostenaufwand restaurierte Barockorgel zurück.
Und das braucht natürlich Geld. Nicht nur für die Orgel, sondern auch für die Restaurierung der Kirche, in der die Orgel wieder ihren angestammten Platz bekommen wird.