Der Erzengel Michael und die Kirche in Blatno

 8. 6. 2022

Von der Südwestküste Irlands bis zum Berg Karmel in Israel zieht sich durch ganz Europa eine schnurgerade, imaginäre Linie, an der sieben bedeutende Stätten der Christenheit liegen: Skellig Michael in Irland, Saint Michael’s Mount im englischen Cornwall, der Mont-Saint-Michel in der französischen Normandie, das Kloster Sacra San Michele im nordwestlichen Italien, die Basilika San Michele in Monte Sant’Angelo im italienischen Apulien, das Münster des heiligen Erzengels Michael auf der griechischen Insel Simi und das Münster Stella Maris auf dem Berg Karmel bei Haifa.

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Das Kloster Sacra di San Michele im oberitalienischen Piemont, das kurz vor dem Jahr 1000 auf einem Felsenhügel errichtet wurde, ist eine der berühmtesten Michaels-Kultstätten in Europa. Der italienische Schriftsteller Umberto Eco machte sie zum Schauplatz seines 1980 erschienenen Romans “Im Namen der Rose”.

Diese frühmittelalterlichen Kultstätten liegen Tausende von Kilometern voneinander entfernt, aber alle sind dem Erzengel Michael gewidmet. Und der Überlieferung nach gleicht diese symbolische Linie dem Speer, mit dem der heilige Michael den Teufel endgültig in die Hölle zurückgeworfen hat.

Der Erzengel Michael tritt in der christlichen Tradition nicht nur als kriegerischer Bezwinger Satans auf, nicht nur als Seelenführer, Seelenwäger (daher die Waage als Attribut) und Hüter des Paradiestores. Seit der siegreichen Schlacht Kaiser Ottos des Großen gegen die plündernd einfallenden Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955 gilt der heilige Michael als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches und später (bis heute) Deutschlands.

Bei einer so langen Geschichte braucht man sich nicht zu wundern, dass dem Erzengel Michael, dem allmächtigen Krieger mit dem Flammenschwert und Anführer der himmlischen Heerscharen, in ganz Europa unendlich viele Kirchen gewidmet sind – von Frankreich nach Österreich, von der Schweiz nach Polen und Russland. Und an der Via Salaria nördlich von Rom lag die bei Gefechten im 6. Jahrhundert zerstörte, älteste Michaelskirche im Westen Europas: Ihr Weihedatum am 29. September (im Jahr 493) gilt bis heute als Fest des heiligen Erzengels (und als Namenstag aller Michaels).

Eine der vielen, dem kämpferischen Bezwinger Satans geweihte Kirchen im christlichen Europa ist die Michaelskirche in Blatno. Nach zweijähriger Bauzeit war sie 1784 geweiht worden, nach einem Entwurf des deutschböhmischen Baumeisters Johann Wenzel Kosch (Jan Václav Kosch). Dieser Architekt, der im Dienst der Grafen von Thun-Hohenstein in Tetschen stand, hat im nordböhmischen Raum mehrere spätbarocke Gotteshäuser konzipiert. Darunter eben St. Michael in Blatno, wo er seine Vorstellung von der Kirchenfassade mit nur einem Turm verwirklichen konnte. Er starb, achtzigjährig, beim Sturz von einer Mauer bei Bauarbeiten am Tetschener Schloss.

Die Kirche zum Erzengel Sankt Michael in Blatno, die 1892 umgebaut wurde, soll in den nächsten Jahren renoviert werden. Vollkommen wird sie dann mit der Wiederinstallation der spätbarocken Schmidt-Orgel, die vom deutschen Orgelbaumeister Kristian Wegscheider teilweise restauriert wurde, aber nun wird daran gearbeitet, diese anspruchsvolle Arbeit fortzusetzen.

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